Es war im Jahr 2013 als ich im Januar erfuhr das ich schwanger bin. Zuerst war die Nachricht ein Schock, denn eine erneute Schwangerschaft so kurz nach der Geburt unserer ersten Tochter war überhaupt nicht geplant. Doch die Freude über meine zweite Tochter wurde von Tag zu Tag größer. Und auch die Schwangerschaft verlief ohne Komplikationen, bis zu diesem Tag, der alles verändert hat.
Es war in der 32 SSW, als ich am Abend zuvor schon so ein komisches Gefühl hatte, die Kleine in meinem Bauch bewegte sich nicht. Vielleicht um mich selbst zu beruhigen, redete ich mir ein, dass sie einfach nur viel schläft. Doch am nächsten Morgen war mein mulmiges Gefühl immer noch vorhanden und ich wusste instinktiv, irgendetwas stimmt nicht. Mittags war meine Angst dann so groß, dass ich im Kreißsaal anrief und meine Sorge schilderte. Die Hebamme bat mich darum umgehend vorbei zu kommen. Vergeblich versuchte die Hebamme, den Herzschlag meiner kleinen Tochter hörbar zu machen. Nicht nur ich, auch sie wurde immer unruhiger und rief schließlich den Frauenarzt dazu, der eine Ultraschall-Untersuchung machen sollte. Meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr.Der Ultraschall zeigte es auf brutale und erbarmungslose Weise: Das Herz meiner Tochter schlug nicht mehr. Für mich war das unbegreiflich, ich habe nur noch geschrieen und wollte es nicht wahrhaben, dass ich mein Kind verloren habe noch ehe es überhaupt geboren war. Das konnte nicht sein! Er musste sich geirrt haben!
Noch am selben Abend wurde die Geburt eingeleitet. Die kommende Nacht war für mich der Horror. Ich schwankte zwischen Verzweiflung und der Hoffnung, dass meine Kleine sich wieder bewegt und der Arzt sich geirrt hat. Der nächste Tag war der schlimmste und zugleich der schönste – meine Lilli kam zur Welt und ich durfte sie sehen zu dürfen, im Arm halten, sie streicheln und mich von ihr verabschieden.
Meine Tochter starb durch einen Nabelschnurknoten.
Das ist eine gute Frage, die sich nicht so einfach beantworten lässt. Natürlich kommen die Fakten im Kopf an, aber das Herz und der Verstand wollen sich mit einer solchen endgültigen Nachricht nicht abfinden. An dem Tag, als ich erfuhr, dass das Kind in mir nicht mehr am Leben ist, habe ich immer wieder gehofft, mein Arzt habe sich geirrt und Lilli bewegt sich gleich wieder. Während der Geburt, bei jeder Wehe schöpft man glaube ich Kraft in der Hoffnung auf den ersten lauten Schrei der Kleinen. Die Zeit lässt sich vielleicht so beschreiben: Es ist wie ein schrecklicher Traum, aus dem man einfach nur noch aufwachen möchte.
Erst bei der Beerdigung realisiert man ein wenig, das eigene Kind nie aufwachsen sehen zu können, aber man möchte es noch nicht ganz begreifen.
Viele Tage und Wochen später begreift man so langsam, was wirklich passiert ist.
Ich weiß es gar nicht, wie man das beschreiben soll. Auf der einen Seite ist da die schreckliche Gewissheit, dass das Kind, das in deinem Bauch herangewachsen ist und auf das du dich gefreut hast, einfach nicht mehr da ist. Auf der anderen Seite dieses schöne Gefühl, sie wenigstens für ein paar Augenblicke im Arm gehalten und sie angesehen zu haben. Und dann ist da auch noch die Verantwortung für die große Schwester, die du ja nicht mit Lilli beerdigt hast.
Ich würde mir wünschen das die Menschen damit offener umgehen. Vor allem würde ich mir wünschen, erst zu überlegen, bevor so mancher dumme Kommentar losgelassen wird. Es tut weh, Dinge zu hören wie „Du bist noch jung, du kannst noch mehr Kinder bekommen“ oder „Die Natur hat bestimmt gewusst, warum.“
Jede Frau und jeder Mann geht anders mit dieser Situation um.
Mir tat es gut mit anderen Eltern zu reden, die auch ein Sternenkind haben und Gefühle auszutauschen. Ja, Reden tat mir sehr gut. Auch der Besuch von Lillis Grab hilft mir.
Aber ich empfehle eine psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen da man alleine diesem Schicksalsschlag nicht verarbeiten kann.
Wie es mir geht? Ich bin noch immer auf einer Art Achterbahn der Gefühle, es geht Bergauf und Bergab. Es vergeht kein Tag an dem ich nicht an Lilli denke, kein Tag an dem ich mir nicht versuche vorzustellen, wie sie jetzt aussehen könnte und wie sie mit ihrer großen Schwester spielen würde. Ich vermisse Lilli wahnsinnig und es tut immer noch sehr weh, sie verloren zu haben.
Am 7. Juli 2017 wäre meine Kleine 4 Jahre alt und es tut immer noch unheimlich weh, zu wissen, dass wir sie verloren haben.
Ich würde mir wünschen, dass die Gesellschaft viel offener mit dem Thema umgeht, es sollte viel mehr über den Verlust eines Kindes gesprochen werden. Uns Eltern tut nicht nur die Tatsache weh, das eigene Kind nicht aufwachsen sehen zu dürfen, auch die Tatsache, dass diese Kinder in der Öffentlichkeit totgeschwiegen werden, schmerzt. Einen kleinen Schritt in die richtige Richtung gibt es zum Glück schon. Heute dürfen auch Kinder beerdigt werden, die weniger als 500 Gramm wiegen. Denn es ist egal, ob das Baby noch im frühen Schwangerschafts-Stadium stirbt oder wie meine Lilli, so kurz vor Schwangerschafts-Ende – jedes Baby im Bauch seiner Mutter ist ein Lebewesen und verdient es mit Respekt und Anstand behandelt zu werden.
Um ehrlich zu sein NEIN.
Nachdem Lilli tot zur Welt kommen musste, hat unser Familienleben einiges durchgemacht. Anfangs hatte ich sehr oft das Gefühl, mein Mann versteht meine Trauer und Verzweiflung nicht. Ich habe sogar geglaubt, er habe mit dem Ganzen ganz schnell abgeschlossen. Das war aber überhaupt nicht der Fall, nur trauern Väter meist ganz anders als die Mütter. Männer reden nicht über ihre Gefühle – das war bei uns das Problem. Es hat lange Zeit gebraucht bis wir wieder zueinander gefunden haben. Heute weiß ich, wir hätten professionelle Hilfe in Anspruch nehmen sollen um zu lernen, wie wir miteinander umgehen sollen und wie wir gegenseitig die Trauerarbeit des anderen verstehen.
Einen tiefgreifenden Einfluss auf die Familienplanung hatte es bei mir nicht, dass Lilli in meinem Bauch gestorben ist. Für mich stand ziemlich bald fest, ich möchte noch ein Kind.
Redet mit uns, offen, ehrlich und ohne Scheu. Aber vergesst eines nie: Unser Kind gehört für immer zur Familie, auch wenn es nicht bei uns sein kann.